Profil und Zeitrahmen

Die Schola Medica Salernitana gilt als früh bedeutendste medizinische Ausbildungsstätte des lateinischen Westens. Sie ist seit dem 10. Jahrhundert greifbar; ihre Blütezeit fällt ins 11.–12. Jahrhundert. In Salerno bündeln sich klösterliche Praxis, gelehrte Medizin und Übersetzungswissen zu einem eigenständigen Lehr‑ und Praxisort.

Lehre und Texte

Unterrichtet werden Theorie (Humoralpathologie, Diätetik), Diagnostik/Therapie und Arzneimittellehre. Überliefert sind Lehrtexte, Praktiken (Practicae), Consilia und Rezeptarsammlungen. Die salernitanische Tradition verbindet antike Autoritäten (v. a. Galen, Dioskurides) mit arabisch‑lateinischer Rezeption.

Constantinus Africanus

Constantinus Africanus (Karthago; † 22. Dezember vor 1098/1099 in Montecassino), nordafrikanischer medizinischer Autor/Übersetzer und Laienbruder der Benediktiner. Als Theoretiker in Salerno und Übersetzer in Montecassino führte er in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts arabisierte griechische Medizin in den lateinischen Westen ein; sein arabischer Name ist unbekannt.

Quellenlage: Die Biographie beruht auf vier einander widersprechenden Traditionen und ist teils legendär; gesichert sind vor allem seine lateinischen Übersetzungen/Bearbeitungen.

Werke: Liber graduum (Gradlehre der Arzneimittel); zudem Adaptationen/Übersetzungen wie Pantegni (nach ʿAlī ibn al‑ʿAbbās al‑Maǧūsī) und Viaticum (nach Ibn al‑Ǧazzār).

Frauenheilkunde (Trota/Trotula‑Ensemble)

Zur salernitanischen Überlieferung zählt das Trotula‑Ensemble, ein unter dem Namen „Trotula“ tradiertes Dreier‑Corpus zur Frauenheilkunde, das um 1200 kompilativ zusammengeführt wurde. Es umfasst gynäkologische, geburtshilfliche und kosmetisch‑hygienische Schriften; Autorschaft und Zusammenstellung sind Gegenstand der Forschung. Trota von Salerno ist in zeitnahen Quellen belegt; sie verfasste De curis mulierum innerhalb des Ensembles. Die beiden anderen Stücke (Liber de sinthomatibus mulierum, De ornatu mulierum) sind anonym überliefert und werden zumeist männlichen Autoren zugeschrieben. Der Liber de sinthomatibus mulierum fußt stark auf Ibn al‑Ǧazzār (Zād al‑musāfir) in der Latinisierung des Constantinus Africanus. Zudem ist eine Practica secundum Trotam erhalten – sie zeigt, dass Trota über die Frauenheilkunde hinaus medizinisch‑praktisch schrieb.

Codex Salernitanus

Eine medizinische Sammelhandschrift (Breslau, StB, M 1302), entstanden um 1180 in Frankreich, mit Texten aus der Schule von Salerno. Der Kodex wurde 1837 von August Wilhelm Henschel wiederentdeckt, ist im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen, der Inhalt jedoch durch Fotografien von 1900 weitgehend überliefert. An erster Stelle steht eine stark erweiterte Fassung des Circa instans – diese wichtige Arzneimittellehre wird hier separat behandelt.

Regimen sanitatis Salernitanum

Das Regimen (auch Flos medicinae) ist ein didaktisches Lehrgedicht in elegischen Distichen, das Grundregeln der Gesundheitspflege (Diätetik, Rhythmus, Verhalten) vermittelt. Es entstand im Umfeld Salernos (12./13. Jh.) und wurde in ganz Europa rezipiert – oft mit Glossen und Zusätzen.

Wirkung und Einordnung

Salerno steht für die Verknüpfung von Lehre, Klinik und Textproduktion: Ausbildung von Praktikern, Verbreitung von Lehr‑ und Nachschlagewerken, Aufnahme des Übersetzungswissens. Die Schule wirkt auf Zentren wie Montpellier und Bologna und prägt die universitäre Medizin des 13. Jahrhunderts.

Kernpunkte

  • Schola Medica Salernitana: seit 10. Jh.; Blüte 11.–12. Jh.

  • Lehrprofil: Theorie/Diätetik, Diagnostik/Therapie, materia medica

  • Constantinus Africanus († 22. Dezember vor 1098/1099; Quellen widersprüchlich/legendär): Vermittler (Salerno/Montecassino); Liber graduum, Pantegni, Viaticum

  • Trotula‑Ensemble (um 1200): Frauenheilkunde; De curis mulierum (Trota); Liber de sinthomatibus mulierum/De ornatu mulierum anonym; Practica secundum Trotam

  • Regimen sanitatis Salernitanum (12./13. Jh.), europaweite Rezeption

  • Wirkung auf Montpellier, Bologna; Brücke zur Universitätsmedizin

  • Codex Salernitanus (um 1180; Sammelhandschrift; zerstört; Fotos 1900; inkl. erweiterter Circa instans)