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Historische Monographien

Die hier gezeigten historischen Pflanzenmonographien sind in der Regel als Originalarbeiten in der 'Zeitschrift für Phythotherapie' (ZPT) erschienen.

 

Natürlich hat jede Arzneipflanze ihre Geschichte und ihre Geschichten, unabhängig davon, ob sie heute zu den aktuellen Phytopharmaka gehört oder nicht. Aber wie wenig weiß man von der Vergangenheit vieler Töchter der Göttin Flora oder der Göttin Demeter? Oft wird Geschichtliches kolportiert, das der Überprüfung bedarf. Zu diesen in ihrer kulturhistorischen Herkunft durchaus nicht immer abgesicherten Medizinalpflanzen gehört die in letzter Zeit intensiv phytochemisch und pharmakologisch-medizinisch untersuchte Verbenacee Vitex agnus-castus L.

"Wolt got, daz der werlt der weinreben minner wüechs und derlai paum mer, und allermeist gaistleichen läuten"1. - "Möchte Gott bewirken, dass für diese Welt weniger Weinreben wüchsen und dafür mehr Bäume der Art (gemeint ist Vitex agnus-castus), ganz besonders den Leuten geistlichen Standes." So schreibt der fromme Mittelfranke Konrad von Megenberg, Rektor der Stephansschule zu Wien und schließlich Domherr in Regensburg, in seinem 'Buch von den natürlichen Dingen' (erste Fassung 1348, zweite 1350), welches das bedeutendste naturkundliche Werk des Mittelalters in deutscher Sprache werden sollte2. Der Megenberger (nach dem heutigen Mäbenberg bei Schwabach) spielt hier im ersten Kapitel ("Von dem käuschen Lamp") des vierten Buches ("Von den Paumen") auf die Wirkung als Anaphrodisiacum an, die in der Ausgabe von 1679 des Kräuterbuchs von Adam Lonitzer3 folgendermaßen beschrieben wird: "Wer dieser Blätter undersich in sein Bettstatt legt / dem vertreibt es alle Fleischliche Anfechtung. Ist vielleicht deß Strohes / darauf die Barfüsser Münch ligen." [Zitat Lonitzers3 aus H. Bock4]. Und damit wird gleich an die deutschen Bezeichnungen für Agnus-castus erinnert: Mönchspfeffer und Keuschlamm. Und hier wird deutlich, dass - anders als heute - nicht nur die Früchte, sondern auch die Blätter als Droge genutzt wurden; so ist bei Lonitzer auch zu lesen: "Das Laub zerknirscht / den Safft herauß / getruckt / damit gesalbet / heilet die Spinnenstich." [Zitat nach3aus H. Bock4]. Und eine Zeile weiter: "Das Laub in Wein gesotten / mit Honig vermischt / und den Mund damit gewaschen / heilet Mund und Zahngeschwär." Dass auch die Blüten in den Arzneischatz eingingen, bezeugen das 'Circa instans'5, der 'Canon medicine' des Ibn Sina (Avicenna)6 sowie Pseudo-Serapions 'Aggregator'7.


Zu Herkunft und Etymologie des Namens

Den lateinischen Gattungsnamen Vitex gab Carl Linné 1753 dieser Pflanze; so wurde sie jedoch bereits bei Plinius d. Ä. (23-79 n. Chr.) in seiner 'Naturalis Historia' (24, 59) genannt. Der Name soll auf das lateinische Verbum viere = binden zurückgehen8; und tatsächlich wurden bereits in der Antike und werden auch heute noch die elastischen Zweige von den Bauern in Italien und Griechenland zum Festbinden der Weinreben oder für Flechtzäune verwandt. Schon in der Homerischen Dichtung findet sich die Pflanze unter dem Namen Lýgos = Weidenrute. Bei den Römern findet sich ferner die Bezeichnung Salix marina.

Meerweide: dieser Name lässt sich noch Mitte des 15. Jh.s in der größten deutschsprachigen Drogenkunde des Mittelalters (Leipzig, Universitätsbibliothek, Hs. 1224) nachweisen, in der es heißt, dass die Pflanze auch meer wyden (also Meerweide) genannt wird (Bl. 7ra). Der Aristotelesschüler Theophrast bezeugt den Namen (h)agnós (Hist. Plant. 1,3,4; 1,14,2), was heilig, gottgefällig, keusch bedeutet. Dioskurides nennt diese Pflanze - wegen ihrer anaphrodisierenden Wirkung - auch ágonos = unfruchtbar [Materia medica 1,103]. Weitere Bezeichnungen sind Piper agreste (wilder Pfeffer) im Römischen und Arbor Abrahae (Abrahamsbaum), eine Benennung, die aus dem arabischen Raum stammen dürfte. Sie kommt jedenfalls über den pseudo-serapionischen 'Aggregator' nach Europa und wird im 'Hortus sanitatis' von 1485 und in mehreren Kräuterbuch-Drucken des 16. Jh.s in den Namenslisten mit aufgeführt9. Heinrich Marzell vermutet, dass sich dieser Name auf 1. Mose 21,33 beziehen könnte: "Abraham aber pflanzte Bäume zu Beer-Seba."10.

Nicht wirklich geklärt ist die Frage, wann der Begriff Agnus-castus erstmals auftaucht. Im ältesten medizinischen Werk, das auf deutschem Boden verfasst wurde, dem 'Lorscher Arzneibuch' (um 800), wird der Same von Agnus-castus in einem Rezept unter dem Namen "agno sperma" erwähnt und in zwei Listen als "Agnusproma id est semen salicis marini" aufgeführt11. Mit dem Wort "castitas" (Keuschheit) und durch die Verwechslung von griech. "agnos" mit lat. "agnus" wurde die Bezeichnung "agnus castus" = das "Keusche Lamm" gebildet. Die ersten eindeutigen Belege stammen allerdings erst aus dem hohen Mittelalter, und zwar aus den Schulen von Salerno und Toledo: so finden wir in den beiden sehr bedeutenden drogenkundlichen Werken Salernos aus der ersten Hälfte des 12. Jh.s, dem 'Liber iste'12 und dem 'Circa instans'5, den Namen Agnus-castus. Ihn verwendet aber auch die gegen 1170 in Toledo vollendete lateinischen Übertragung des 'Canon medicinae' Avicennas6. Die früheste greifbare Fundstelle scheint der 'Liber graduum' des Constantin von Afrika (gest. 1087) zu sein13. Somit ist mit Sicherheit die Schule von Salerno für die Verbreitung des Namens zuständig; möglicherweise stammt die Bezeichnung aus der Klostermedizin, deren Hauptwerke, der 'Macer floridus' des Odo von Meung (um 1080) und die sog. 'Physica' der Hildegard von Bingen (um 1167), die Pflanze jedoch nicht erwähnen.

Von den deutschen Namen "Schaffmülle" [so im 'Hortus sanitatis' von 148514, bei Hieronymus Bock4 oder Lonitzer3], "Mönchspfeffer" und "Keuschlamm" ist der letzte eine Übersetzung von Agnus-castus. Keuschlamm und Mönchspfeffer weisen auf die dieser Pflanze zugeschriebene lustmindernde Wirkung - innerhalb wie außerhalb der Klöster - hin. Der Begriff Schaffmülle bleibt in seiner Etymologie bisher unaufgeklärt15.


Agnus-castus in der Antike

In der Antike spielte Vitex agnus-castus eine erstaunlich vielschichtige Rolle. Unsere Pflanze hat die erste Verbindung mit der menschlichen Kultur bereits an deren mythologischem Beginn: mit Prometheus, dem "Vorsorglichen". Prometheus, der Sohn des Titanen Iapetos, stahl den Göttern das Feuer und schenkte es den Menschen. Dadurch wurde er zum Begründer ihrer Kultur. Das wollten die Götter nicht ungestraft durchgehen lassen. Prometheus wurde zur Sühne an einen Felsen im Kaukasus geschmiedet; nach Pierre de Ronsard (1524-1585) - dem bedeutendsten Vertreter der Pléiade - als ein Symbol der unerlösten Menschheit. Ein Adler fraß täglich an der Leber des Halbgottes, die jedoch Tag für Tag zu ihrer alten Größe nachwuchs16. Schließlich wurde Prometheus durch den Kentauren Chiron von seinen Qualen erlöst (einer anderen Überlieferung zufolge war es Herakles). In Erinnerung an die Zeit am Felsen setzte sich Prometheus einen Kranz aus Zweigen von Agnus-castus aufs Haupt. Warum? Die elastischen Zweige schienen allgemein besonders geeignet als Metapher für Fesselungen. Über diese Art von Signaturenlehre berichtet Athenaeus17. Diese praktischen, außermedizinischen Eigenschaften der elastischen Zweige des Keuschlamms nutzten noch weitere antike Helden für ihre Zwecke. So berichtet die 'Ilias'18, dass Achilles die Söhne des Priamus in den Wäldern des Ida mit Vitex-Ästen fesselte. Und auch in Homers Odyssee19 wird die Agnus-castus-Rute benötigt. Um den einäugigen Riesen Polyphem zu täuschen, band Odysseus unter dessen Schafe seine Gefährten mit Vitex-Zweigen fest. Dann trieb er die Tiere aus der Höhle des Kyklopen, der die List nicht durchschaute. Der Fortgang der 'Odyssee' war gesichert.

Das in Fragen antiker Pflanzen den Leser nie im Stich lassende Buch von Hellmut Baumann20 sei hier mit dem Abschnitt zitiert, der sich mit der "gynäkologischen" Nutzung des Keuschlamms in der Antike beschäftigt: "Keusch heißt hier der Strauch, weil ihn die Frauen an den Thesmophorien, den all jährigen Festen zu Ehren der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter, als Lager benutzten, um [während der Zeit der Feiern] ihre Keuschheit zu bewahren" [Dioskurides 1.13421 bzw. 1.10322]. Die uralte Verknüpfung des Fraulichen und Mütterlichen mit der Agnus-castus-Symbolik ist ein faszinierendes Thema, das noch der Bearbeitung harrt. So soll die Zeusgattin Hera, die Hüterin der Ehe, unter einem Keuschlammstrauch geboren worden sein; das Kultbild der Hera auf Samos, sowie das der Artemis Orthia in Sparta war mit Agnus-castus-Zweigen umflochten. Und hier besteht gleichzeitig eine enge Beziehung zum Standbild der "vielbrüstigen" Artemis von Ephesos, das aus dem Holz des Keuschlamms geschnitzt war23. Auch die Statue des Asklepios zu Sparta war aus diesem Holz gefertigt, und ihm war dieser Strauch als Arzneimittel heilig; denn Asklepios trug auch den Beinamen "Agnitas", der Keusche24.

Auch im Corpus Hippocraticum (4. und. 5. Jahrh. v. Chr.) wird Vitex agnus-castus als Heilpflanze erwähnt. Die Hippokratiker empfahlen folgende Kur gegen Wurmbefall: Früchte und Blätter des Keuschlammstrauchs wurden mit Ochsengalle und Zedernöl vermischt. Daraus waren Suppositorien herzustellen, die jeden dritten Tag appliziert, jedoch nach 24 Stunden wieder entfernt wurden.

Schließlich war Vitex agnus-castus im Altertum und ist, wie griechische und türkische Kollegen berichten, auch heute noch in ihren Heimatländern ein Psychotherapeutikum. Bei Hochzeitstagen trugen und tragen gelegentlich Braut und Bräutigam Kränze aus den weiß-rötlichen oder rötlich-violetten Blütenständen dieser Verbenacee, sozusagen als Mittel gegen den bösen Blick. Und bereits Aelian berichtet in seinem Buch über die Tiere25, dass kluge Raben aus diesen Hochzeitskränzen Zweige für ihr Nest verwendeten, um ihre Jungen vor Unbill zu schützen. Und genau aus diesem Grund, zur Abwehr Schaden bringender Geister, werden heute in einigen Gegenden der Türkei Keuschlamm-Blätter, die wegen der Fünfzahl ihrer Fieder Kef Marjam (Hand der Maria) genannt werden, als Apotropaicum genutzt.


Agnus-castus im Mittelalter

Wie bereits anfangs angedeutet, gerät Agnus-castus als Heilpflanze im Mittelalter keineswegs in Vergessenheit, im Gegenteil; und das nicht nur wegen seiner Nutzung als Anaphrodisiacum. Das 'Circa instans'5, Avicenna6 und Pseudo-Serapion7, die alle vorzüglich die "blume" und das "crut" (Leipziger Drogenkompendium, s. oben) anpreisen, nennen die Förderung der Muttermilch. Das ist inzwischen durch den dopaminergen Effekt, den die aktuelle Medizinforschung dem Agnus-castus-Extrakt eindeutig zuschreibt, wissenschaftlich begründet. Es wird aber auch bei Menstruationsbeschwerden und Gebärmutterkrankheiten empfohlen. Als Umschlag sollen Blatt und Blüte gegen Kopfschmerz und bei Unsinnigkeit helfen, sowie gegen den Biss giftiger Tiere nützlich sein. Milz- und Wassersucht sowie "leucoflegmantia" ("Weiße Wassersucht") und "litargia" ("Vergessen und Schlafsucht") finden sich ebenfalls fast immer unter den Indikationen. Interessanterweise wird dieses Spektrum der Anwendungen nahezu vollständig bereits von Dioskurides erwähnt.

Gute Zusammenfassungen der antik-mittelalterlichen Anwendungen bieten der 'Hortus sanitatis' von 148514 sowie Hieronymus Bock4 [Abdruck der Texte siehe unten], während die Kräuterbücher des Otto Brunfels und Leonhart Fuchs die Pflanze nicht behandeln.

Damit ist der kulturhistorische Kreis, in dessen Mittelpunkt Vitex agnus-castus steht, geschlossen. Phytotherapeutische und psychotherapeutische Quellen sind miteinander verwoben; denn selbst "modernste" Arzneimittel enthalten von beiden Bereichen einen unterschiedlichen Anteil. Nicht zuletzt dienen Pharmaka dieser Art der Behandlung eines Kranken und erst an zweiter Stelle der Therapie einer Krankheit. Es sind seriöse Therapeutika, die das "Handauflegen" des Arztes verstärken oder es überhaupt erst wirksam werden lassen.


Hortus sanitatis (Mainz 1485)

Agnus Castus - Schaffmulle (Cap. lij).
Agnus castus vel salix marina vel arbor abrahe latine, grece: Aligos vel lygos, arabice: Amarikest.
Serapio in dem buch aggregatoris in dem capitel amarikest id est agnus castus spricht, daz diß sy ein baum abrahe. Disser baüm wechset gern by dem wasser vnd hait lange stengel, die synt gar hart vnd laißet sich vngern brechen. Disser baum brenget samen, der glichet den pfeffer korner. Galienus spricht, daz der same die bletter vnd die blomen diß baumes werden genutzet in der artzney.

In dem buch circa instans beschriben vns die meyster vnd sprechen, daz die bletter diß baümes genutzet werden vnd nit die wurtzel. Avicenna in synem andern büch in dem capitel Agnus castus spricht, daz der sy heyß an dem ersten grade vnd drucken an dem andern.
Galienus in dem sesten buch simplicium farmacarum in dem capitel Agnus castus spricht, daz der same vnd die blomen diß baüms genutzet werden in der artzney.

Disser baüm ist alle zyt grun vnd ist grun nutzer wan gedorret. Diß blomen vnd bletter sollen gesamelt werden in den meyen vnd in dem herbst. Die weren eyn iar vnuerseret an irer krafft. Vnd diß wurt darvmb geheyssen kuschlamp, wan der same, bletter vnd blomen benemen die bösen vnkuschen gelust vnd machen den menschen kusch glich dem lamp. Serapio: etlich geistlich lude strauwen diß bletter oder blomen vnder ir beth, dan so haben sie in dem slaiff dester baß ruwe von bösen vnkuschen treymen.

Jtem welcher diß krut by ym hait oder den samen nutzet mit wyn, der begert keyn vnkuscheyt zu volnbrengen. Vnd ein yglicher der diß bletter oder blomen in synem beth hait, der ist des sicher, daz ym keyn böser wille oder begirde der vnkuschet zu fellet.

Disser same vnd blomen gesotten mit wasser vnd das gemecht do mit geweschen benymet das ragen des gemechtes.
Wider die krangheyt genant gomorrea, das ist, so die natur sperma genant von dem menschen gat vber synen willen, der syede diß blomen vnd bletter in essig vnd mische darvnder castorium, das ist bybergeyl vnd nutz das des obents drey leffelyn vol vnd wesche sich do mit by dem gemechte vnd vnden die seck, eß hilffet on zwyfel.

Wider das geswere litargia genant, vnd das ist eyn geswere an dem hynder des hyrnes: der neme diessen samen vnd eppich samen, selben bletter vnd siede diß mit wasser das gesaltzen sy, vnd strich sich hynden an dem heubt do mit, eß benymet das geswere zu hant.

Diaskorides: welcher von diessem samen drincket oder deß ysset, der blybet den selben dag kusch.
Disser samen genutzet, benymet die wassersucht.
Dissen samen, krut vnd blomen mogen nutzen man vnd frauwen die vnkuscheit, begirde do mit zu stillen.
Von agno casto lese das buch Pandecta das xxxvij capitel, das sich anhebet Amarikest, dar inne fyndest du die warheyt vnd do mit viel dogent von diessem
baum.


Hieronymus Bock: New Kreütterbuch, 3. Aufl. Straßburg 1556

Schaffmülle / Agnus castus. Cap. lix. (S. 379vf.)
Den züchtigen vnd alle zeit frommen Closterleuten, so keuschheit zu halten sich vndernommen, schencke ich diß gewächß jhre ruhe darauff zu haben, darmit jhrem Eyd (den sie gethon) genug geschehe. Darumb das dieser Baum mit seinen schmalen Weidenblettern, die sich etlicher massen dem laub am Oelbaum vergleichen, darzu die schwartze runde Körnlein, dem Pfeffer gleich, löschen vnd dilgen auß des fleysches brunst vnnd begirde, wie die Alten daruon schreiben, das zu Athen etliche fromme Matronen jhr Läger auff dises Baums bletter stäte keuschheit zuhalten, gehabt haden. Jch halt die vngeschlachte Barfüsser, so von der Welt kommen, vnd doch die Welt nicht mehren, ligen auff dises Baums laub, wie sich dann rhümen, daz sie in keinem federbeth ligen, es geschehe dann auff dem Lande.
So wächst aber diser staud gern nahe bey den wassern. Die schwartze körnlein haben ein weinechten geschmack. Vnnd ist dieser Baum an vilen orten noch frembd.

Von den Namen
Keuschbaum vnd Schaffmülle, zu Latin Vitex Agnus castus, auff Griechisch Lygos, das ist Vimen genant, hat noch vil namen inn Diosc. Lib. J. cap. cxx.24
Als nemlich Agonon, Amictomtenon, Tridactylum, Semnos, Jbis sanguis, Sum, Salix Amerina, Piper agreste, Ligusticum, Eleagnon, Osee vnd andere namen mehr. Als in Serapione stehet geschriben cap. ccxcix: Famanchest vnd arbor Abrahe, die frucht Piperella vnnd Piper Eunuchorum; inn Auerrhoe: Pentasiler, Granum sterilitatis.

Von der Krafft vnd Würckung
Djser Closter vnd Münch Pfeffer ist druckener, warmer, zusamen ziehender eygenschafft, würt etwan inn der artzney gebraucht.

Jnnerlich
Djser Beerlein eins quinten schwer mit Wein gedruncken, zuuor gestossen, treibt den Weybern jhre krankheit, zertheilt die wind im leib, vnd löschet auß die begirde der Ehlichen werck. Wer von gifftigen Thieren gestochen oder gebissen ist, der soll die frucht brauchen. Deßgleichen die Weyber, so vbel seugen, dann es mehret die Milch. Es bekompt auch wol den Miltz- vnd Lebersüchtigen menschen, welche sich vor der Wassersucht besorgen.
Zu vil gebraucht schwechet das Haupt vnnd machet Schlaffen.

Eusserlich
Das laub zerknütscht vnd den safft herauß gedruckt, darmit gesalbet, heylet Spinnen stich.
Das laub inn Wein gesotten, Honig darzu gethon vnnd den Mund darmit gewäschen, heylet das Mund vnnd Zan geschwär.
Mit wasser gesotten vnd darmit gewäschen, heylet allerhand Riß vnd Schrunden am Hindern, sonderlich den Weybern, so an heimlichen enden etwan entzündet werden, denen soll man ein Fomentum auß dem laub machen vnd darüber setzen.
So man den samen zerkmütscht vnnd mit Rosen wasser auff die stirnen legt, lindert es das Hauptwehe.
Dioscorides meynet, so jhemandts einen stengel dises gewächß inn der hand habe, wann er wandere oder vber feld gehe, der selbig sol kein Wolff vberkommen. Andere tugent mögen auß obernenten selbs colligiert werden. Wer wills alle erschreiben.[!]


Literatur sowie Fußnoten

  1. Pfeiffer, F. (Hrsg.): Das Buch der Natur von Konrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache, Stuttgart 1861, Neudruck Stuttgart 1962 und Hildesheim New York 1971, S. 312
  2. Steer, G.: Konrad von Megenberg, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. völlig neu bearbeitete Auflage, hrsg. von K. Ruh, G. Keil, B. Wachinger und F.-J. Worstbrock, Bd. 5 (1985); Sp. 221-236, hier 221f. u. 231-234
  3. Adamus Lonicerus. Kreuterbuch, ... Druckts und Verlegts Matthäus Wagner, (Frankfurt) im Jahr 1679; Reprint 1962 Verlag Konrad Kölbl, München. hier: Schaafmülle / Vitex, Agnus castus. Cap. 26; S. 77
  4. Vgl. Wölfel, H.: Das Arzneidrogenbuch Circa Instans in einer Fassung des XIII. Jahrhunderts aus der Universitätsbibliothek Erlangen. Text und Kommentar, math.- nat. Diss. Berlin 1939, S. 7: "Agnus castus cum invenitur in receptione, florem eius debemus ponere." [Lesart korr. nach der Hs.]
  5. Hieronymus Bock, Kreütterbuch, darin vnderscheidt, Namen vnd Wurckungen der Kreuter Stauden, Hecken vnnd Beumen sampt ihren Früchten ... durch Josiam Rihel, Straßburg 1577, Reprint Konrad Kölbl München 1964, Kap.59, S. 379f.
  6. Avicenna: Canon medicine, Liber II., Tractatus II, Cap. 44: "et eius lignum non ingreditur in medicinam, sed flos eius et folia et fructus." Vgl. Avicenna, Liber Canonis, Venedig 1507, Reprint Hildesheim (Georg Olms) 1964, S. 90va. (Wir benutzen die von K. Goehl nach den Drucken des 16. Jahrhunderts erarbeitete Ausgabe, die in absehbarer Zeit im Verlag Königshausen&Neumann, Würzburg, in der Reihe 'Texte und Wissen' erscheinen wird)
  7. Von Pseudo-Serapions 'Aggregator' liegt nur die italienische Ausgabe vor: Ineichen, G. (Hrsg.): El libro agregà de Serapion. Vulgarizzamento di Frater Jacobus Philippus de Padua, Parte I: Testo, Istituto per la collaborazione culturale, Venedig und Rom 1962, Kap. 293, S. 318-320, hier S. 319: "che quello che se uxa in medexina de questo arbore si è le folie e la somenca."
  8. Schubert, R./Wagner, G.: Botanisches Wörterbuch. UTB Ulmer Stuttgart 1991
  9. Vgl. Ineichen (wie Anm. 7), S. 318: "Alguni el chiama arbore de Abraham" sowie den unten stehenden Abdruck aus dem Hortus sanitatis: "Agnus castus vel salix marina vel arbor abrahe latine."
  10. Marzell, H.: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, Bd. 4, S. Hirzel Verlag und Franz Steiner Verlag Stuttgart/Wiesbaden 1979, Sp. 1211.
  11. Stoll, U.: Das 'Lorscher Arzneibuch'. Ein medizinisches Kompendium des 8. Jahrhunderts (Codex Bambergensis medicinalis 1). Text, Übersetzung und Fachglossar, Stuttgart 1992 (Sudhoffs Archiv, Beihefte, 28), S. 342 bzw. S. 78 und 97. Marzell wendet sich jedoch gegen eine Gleichsetzung von agnosperma mit agnus castus (wie Anm. 9).
  12. Müller, E.: Der Traktat Liber iste (die sogenannten Glossae Platearii) aus dem Breslauer Codex Salernitanus (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der Naturwissenschaften, 7), Verlag Konrad Triltsch, Würzburg 1942, S. 40
  13. Constantini Africani medici, De gradibus quos uocant simplicium liber, in: Opera, bei Henricus Petrus, Basel 1536, S. 378
  14. 'Hortus sanitatus' Germanice, durch Johann Wonnecke von Kaub bei Peter Schöffer in Mainz am 28. März 1485 herausgegeben; Nachdruck bei Konrad Kölbl, München 1966, Kap. lij (52).
  15. Es bestehen Wortähnlichkeiten zwischen "Schaffmülle" und "Schafmaul" bzw. "Schafmäulchen" [syn. Rapunzel, Feldsalat, Valerianella locusta (L.) Laterr.]. Inwieweit hier gemeinsame Wortherkünfte zu finden sind, ist völlig offen.
  16. Diese antike Beobachtung ist erstaunlich, weist sie doch auf das medizinische Faktum hin, dass nach einer operativen Entfernung eines Teiles der Leber dieses Organ immer wieder auf seine artspezifische, genetisch bedingte ursprüngliche Größe - und nicht darüber hinaus - regeneriert wird. Diese Tatsache kann aber eigentlich in der Antike nicht bekannt gewesen sein.
  17. Athenaeus, The Deipnosophists, Translation by Charles Burton. Gulik, London 1969.- 15; 647-673.
  18. Homer, Ilias. Urtext und Übertragung von Hans Rupé, Heimeran, München 1974; - 11. 105.
  19. Homer, Odyssee, griechisch und deutsch, herausgeg. von Anton Weiher, Heimeran, München 1974; - 9. 427.
  20. Baumann, H.: Die griechische Pflanzenwelt in Mythos, Kunst und Literatur. Hirmer, München 1982; S. 64.
  21. Berendes. J.(Hrsg.): Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre in fünf Büchern. Übers. und erläutert von J. Berendes, Stuttgart 1902, Wiesbaden 1970, S. 119f.
  22. Wellmann, M.: Pedanii Dioscuridis Anazarbei, De materia medica libri quinque, 3 Bde., Berlin 1958, 1.103; S. 94-96.
  23. Seligmann, S.: Die magischen Heil- und Schutzmittel aus der belebten Natur. - Das Pflanzenreich. Aus dem Nachlass bearbeitet und herausgeg. von J. Zwernemann. Reimer Frankfurt a.M. 1996; S. 148.
  24. Pausanias, Beschreibung Griechenlands. Übers. mit erklärenden Anmerkungen von Ernst Meyer. Artemis Zürich; - 3, 14.
  25. Claudius Aelianus, De natura animalium (Tiergeschichten). Herausgeg. von F. Jacobs. Stuttgart 1839.

 

 

Forschergruppe Klostermedizin

 

 

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