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Arzneipflanze des Jahres

Auf dieser Seite finden Sie Informationen zur Arzneipflanze des Jahres, die seit 1999 jährlich vom Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde in Würzburg gekürt wird.

Texte zu allen bisherigen Arzneipflanzen des Jahres finden sich auf unserer Homepage Welterbe Klostermedizin.

 

Andorn (Marrubium vulgare) ist die Arzneipflanze des Jahres 2018.

Der Andorn ist außerhalb von Fachkreisen hierzulande nahezu unbekannt. Dabei gehörte der stattliche Lippenblütler (Lamiaceae) von der Antike bis weit in die Neuzeit zu den wichtigsten Arzneipflanzen Europas und ist auch aktuell keineswegs völlig aus der Heilkunde verschwunden. Der Einsatz der Pflanze bei Katarrhen der Atemwege sowie bei Verdauungsbeschwerden ist bereits seit über 2000 Jahren dokumentiert. Heute wird Andornkraut zur Schleimlösung bei Husten im Rahmen von Erkältungen angewendet. Es wirkt schleimlösend [Literatur 1] bei festsitzendem Schleim, antientzündlich [Literatur 2,3] und krampflösend [Literatur 4,5]. Aufgrund seiner herausragenden historischen Bedeutung und der umfangreichen Dokumentation seiner Wirkungen hat der „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg den Andorn zur Arzneipflanze des Jahres 2018 gewählt.



Andorn steht mit seiner kugeligen, vielblütigen Scheinquirlen zwischen Ackerminze und Melisse; die Blätter sind jedoch kleiner, rundlich bis herzförmig, und besitzen auf der Oberseite ein tief eingesenktes Nervennetz, während sie unten stark filzig behaart sind. Die unverzweigten Stängel werden bis zu 80 cm hoch. Er kommt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum, findet sich in warmen und trockenen Regionen als Auswilderung aus dem früher weit verbreiteten Anbau als Heilpflanze auch nördlich der Alpen bis nach Südskandinavien.

Unter den Arzneipflanzen aus der Familie der Lippenblütler sticht der Andorn durch seine kräftigen Bitter- und Gerbstoffe hervor, während nur ganz wenig ätherisches Öl zu finden ist. Durchaus zutreffend urteilt deshalb der berühmte Abt und Dichter Walahfrid im 9. Jahrhundert: „Er duftet süß, schmeckt aber scharf.“




Bittere Medizin = gesunde Medizin

Unter den Arzneipflanzen aus der Familie der Lippenblütler sticht der Andorn durch seine kräftigen Bitter- und Gerbstoffe hervor. Neben dem wirksamkeitsbestimmenden Bitterstoff Marrubiin enthält das Kraut unter anderem Flavonoide, stickstoffhaltige Verbindungen und ätherisches Öl. Andorn wird traditionell bei Bronchialkatarrhen sowie bei Verdauungsbeschwerden und Appetitlosigkeit eingesetzt. Verschiedene Studien belegen die Wirkung des Andornkrauts zur Schleimlösung bei Husten im Rahmen von Erkältungen [Literatur 1]. Andorn-Bronchialtropfen werden daher bei verschleimten, verkrampften und entzündeten Bronchien erfolgreich angewendet.  Das pflanzliche Arzneimittel ist zugelassen für Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren.

Darüber hinaus entdeckten Forscher erst in jüngerer Zeit einen altbekannten Mechanismus wieder, der eine weitergehende therapeutische Relevanz von Bitterstoffen unterstreicht: Medizin muss manchmal bitter schmecken, wenn sie wirken soll [Literatur 6,7]. Die Bedeutung von Bitterstoffen für den menschlichen Körper zeigt sich bereits darin, dass uns die Natur mit jeweils nur einem einzigen Rezeptortyp für süß, salzig, sauer und umami (japanisch für „würzig“, „schmackhaft“), aber mit 25 verschiedenen Bitterrezeptoren ausgestattet hat, die uns zumindest theoretisch in die Lage versetzen, Tausende von Bittersubstanzen zu erkennen.

Solche Rezeptoren für Bitterstoffe sind nicht nur z .B. auf der Zunge sowie im Mund- und Rachenraum lokalisiert, sondern wurden auch auf glatten Muskelzellen des Bronchialsystems gefunden. Dort verursacht ihre Aktivierung eine Erweiterung von verengten Bronchien, die zu einer verbesserten Sauerstoffaufnahme und erleichterten Schleimentfernung führt [Literatur 8]. Eine Studie von Wissenschaftlern aus den USA weist außerdem darauf hin, dass die gezielte Stimulation dieser Rezeptoren mit Bitterstoffen eine Stärkung des Immunsystems zu bewirken vermag [Literatur 9]. Eine verstärkte Stimulation der Bitterrezeptoren könnte einen größeren Schutz vor Infektionen bieten, während eine niedrigere Funktion die Anfälligkeit für Infekte erhöht, schlussfolgern die Forscher.

Andornkraut wirkt auch choleretisch, d.h. es hat eine den Gallenfluss fördernde Wirkung, was die positiven Effekte bei Verdauungsbeschwerden unterstützt. Die Pflanze kann als Tee zubereitet werden, als Fertigarzneimittel stehen ein Fluidextrakt in Form von Bronchialtropfen und ein Frischpflanzenpresssaft zur Verfügung.


Arzneipflanze mit großer historischer Bedeutung

Für die Wahl des Andorns zur Arzneipflanze des Jahres 2018 war die historische Bedeutung der Pflanze mit ausschlaggebend. Von der Antike bis weit in die Neuzeit hinein gehörte der Andorn zu den beliebtesten Heilpflanzen in Europa. Nach Plinius dem Älteren (gest. 79 nach Chr.) war die Pflanze als „eines der vorzüglichsten Kräuter“ bekannt. Sie wurde vor allem bei Lungenerkrankungen und hartnäckigem Husten eingesetzt, aber auch bei Brüchen, Verstauchungen, Krämpfen und Erkrankungen der Sehnen. Der zeitgleich wirkende griechische Arzt Dioskurides nennt Schwindsucht, Asthma und Husten als die ersten Anwendungsgebiete.

Der bereits erwähnte Walahfrid Strabo preist den Andorn nicht nur bei „starken Beklemmungen der Brust“ sondern auch als schnelles Mittel gegen Giftanschläge, etwa durch böse Stiefmütter: „Sollten die Stiefmütter in feindseliger Absicht Gifte zubereiten und in das Getränk mischen oder Eisenhut zum Verderben in trügerische Speisen mengen, so vertreibt ein Trank des heilkräftigen Andorn, unverzüglich eingenommen, die lebensbedrohenden Gefahren.“

Hildegard von Bingen empfiehlt eine Abkochung von Andorn, Fenchel und Dill mit Wein gegen starken Husten.
In allen einschlägigen Werken bis ins 18. Jahrhundert hinein werden zudem auch Ohrenschmerzen und Probleme bei der Geburt sowie Menstruationsbeschwerden unter den Indikationen angeführt.
Im 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Anwendung auf die schleimlösende Wirkung in den Atemwegen und auf Verdauungsprobleme. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts diskutierte man in Frankreich jedoch für etwa drei Jahrzehnte eine Wirkung bei Malaria.

Kulturgeschichtlich ist der Andorn eine hochinteressante Pflanze, die auch unter medizinischen Aspekten wohl zu Unrecht in Vergessenheit geriet. Neue Forschungen sind jedoch dringend erforderlich, um das Potential der Pflanze ausloten zu können. Was jedoch wohl nie wirklich geklärt werden wird, ist die Bedeutung des deutschen Namens; es ist völlig unklar, was Andorn, ohne Dornen (an-dorn) bei diesem Lippenblütler uns sagen soll.


Literatur

1. Community herbal monograph and assessment report on Marrubium vulgare L., herba. European Medicines Agency (EMA), Committee on herbal medicinical products (HMPC)/604273/2012 (2012)
2. Yousefi, K. et al.: Marrubium vulgare L. methanolic extract inhibits inflammatory response and prevents cardiomyocyte fibrosis in isoproterenol-induced acute myocardial infarction in rats. BioImpacts: BI 4.1 (2014)
3. Kanyonga, PM. et al.: Assessment of methanolic extract of Marrubium vulgare for antiinflammatory, analgesic and anti-microbiologic activities. J Chem Pharm Res 3 (1): 199-204 (2011)
4. Jorge, VG. et al.: Vasorelaxant effect of ethanolic extracts from M. vulgare: Mexican medicinal plant as potential source for bioactive molecules isolation. Indo Global Journal of Pharmaceutical Sciences (2013)
5. Schlemper, V. et al.: Antispasmodic effects of hydroalcoolic extract of Marrubium vulgare on isolated tissues. Phytomedicine 3 (2): 211–216 (1996)
6. “Sie trinken gerne Tonic? Dann gibt es Grund zur Sorge”; Welt online v. 24.5.2016 [https://www.welt.de/gesundheit/article155640904/Sie-trinken-gerne-Tonic-Dann-gibt-es-Grund-zur-Sorge.html]
7. „Bitterstoffe – Die bittere Wahrheit“, Guter Rat online v. 12.9.2017 [http://www.guter-rat.de/gesund-bleiben/ernaehrung/bitterstoffe-wir-sind-umgepolt-gesundheit]
8. Deepak, A. et al.: Bitter taste receptors on airway smooth muscle bronchodilate by localized calcium signaling and reverse obstruction. Nature Medicine EPub, abstract 24 Oct 2010 (2010)
9. Lee, RJ. et al.: Bitter Taste Bodyguards. Scientific American 314: 38 - 43 (2016)

 

 

Forschergruppe Klostermedizin

 

 

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